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Während des Essens war Clarissa allein mit der Wirtin. Der Rechtsanwalt und der Bürovorsteher waren bereits zum Klondike unterwegs, und Fitz traf sich mit einigen Freunden in Dyea, dem unscheinbaren Nachbarort, von dem aus die Goldsucher über den Chilkoot Pass zum Yukon River zogen. Er würde erst am nächsten Morgen wiederkommen, wenn überhaupt.

»Bei Fitz weiß man nie«, sagte Mrs Buchanan, als sie den Eintopf auftrug, »der Bursche ist unberechenbar. »Anfangs dachte ich noch, er wäre genauso goldgierig wie alle anderen, und jetzt scheint er sich überhaupt nichts mehr aus Gold zu machen. Der tut plötzlich so, als wollte er für alle Zeiten in diesem Drecksnest bleiben.«

Trotz der gedrückten Stimmung, in die sie Soapy Smith und der Reverend versetzt hatten, brachte sie ein Lächeln zustande. »Solange Sie hier sind, wird sich das auch nicht ändern. Sie sind ihm wichtiger als Gold. Er ärgert sich immer noch, dass Mr Buchanan Sie damals mit Wildblumen erobert hat.«

»Das hat er Ihnen erzählt?« Mrs Buchanan überspielte ihre Verlegenheit mit einem Kichern. »Nun ja, es waren nicht nur die Blumen. Er war ein stattlicher Bursche und hatte so was Seriöses an sich, nicht nur wegen der Bibeln, die er verkaufte. Er war sehr …« Sie ließ die Hand mit der Schöpfkelle ruhen und überlegte. »… gewissenhaft. Ob Sie’s glauben oder nicht, er hing jeden Abend seine Kleider über einen Stuhl, und das tun beileibe nicht alle Männer, hab ich mir sagen lassen. Fitz …« Sie überlegte wieder. »Fitz ist ein rastloser Bursche. Ein Abenteurer, der ständig von einem Ort zum anderen zieht und wissen will, wie es auf der anderen Seite der Berge aussieht. Zum Heiraten taugt der nicht, obwohl ich zugeben muss …«

Sie brach mitten im Satz ab und errötete. Verlegen wie ein Schulmädchen legte sie die Schöpfkelle beiseite und setzte sich Clarissa gegenüber. Sie hatte bereits gegessen und begnügte sich mit heißem Tee. »Dann steckt dieser Reverend Ike also tatsächlich mit Soapy Smith unter einer Decke«, wechselte sie rasch das Thema. Clarissa hatte ihr von ihren Begegnungen mit dem Reverend und Soapy Smith erzählt. »Ein ekelhafter Bursche, nicht wahr? Soapy Smith hat wenigstens Manieren.«

Das musste auch Clarissa zugeben. Wenn man ihr nicht gesagt hätte, was für ein Verbrecher er war, hätte sie ihn wahrscheinlich für einen seriösen Geschäftsmann gehalten. Ein Gentleman der alten Schule, der es verstand, eine Frau mit seinem Lächeln und übertriebenen Komplimenten in seinen Bann zu ziehen. Vielleicht war er deshalb so gefährlich. »Den Anführer einer Verbrecherbande habe ich mir ganz anders vorgestellt.«

Die Wirtin nickte betrübt. »Ich frage mich manchmal, ob Soapy Smith und seine Bande jemals genug haben werden, und was noch alles passieren muss, bevor die amerikanische Regierung einen unbestechlichen US Marshal oder die Armee nach Skaguay schickt, um hier endlich aufzuräumen. Oder wie lange es dauert, bis sich die anständigen Männer dieser Stadt zusammenraufen und ihm endlich Paroli bieten.« Sie trank einen Schluck und setzte die Tasse so heftig ab, dass sie beinahe zersprang. »Halten Sie sich von Soapy Smith und seinen Leuten fern, Clarissa!«

An diesem Abend verzichtete Clarissa auf ihr Essen, auch weil sich ein neuer Gast bei Mrs Buchanan eingetragen hatte, ein Quacksalber, der mit selbst gebrauter Medizin durch die Lande reiste und seinen in kleinen Flaschen abgebrühten Sud als wirkungsvolles Mittel gegen Schmerzen aller Art anpries. Sie hatte keine Lust, sich die blumigen Worte dieses selbst ernannten Wunderheilers anzuhören und war auch viel zu verwirrt, um sich in der Gesellschaft anderer Menschen zu zeigen. Mit einer Kanne heißem Tee zog sie sich in ihr Zimmer zurück und dachte über die seltsame Wendung nach, die ihr Leben ausgerechnet am Tag ihrer kirchlichen Trauung genommen hatte.

Noch bedrückter als vor etwas mehr als zwei Jahren, als sie Hals über Kopf aus Vancouver geflohen war und sich wenige Tage später in der unwirtlichen Wildnis wiedergefunden hatte, blickte sie aus dem Fenster. Der Ausblick war so trübe wie ihre Gedanken. Ihr Zimmer ging nach hinten raus, und vor ihren Augen erstreckte sich lediglich ein gerodeter Streifen flacher Erde, die immer noch mit Schnee bedeckt war, und dahinter ragte dunkler Fichtenwald empor. Die Sonne, die im Frühling schon am frühen Abend unterging, war bereits hinter den Bergen verschwunden, und düstere Schatten krochen über den Boden und an den Bäumen empor. Das Wrack eines ausgebrannten Planwagens lag wie das zerstörte Skelett eines Ungeheuers am Waldrand.

Wie schnell sich das Schicksal eines Menschen doch ändern konnte. Bis zum plötzlichen Tod ihrer Eltern hatte sie ein nicht immer sorgenfreies, aber erträgliches Leben geführt, hatte ihrer Mutter im Haushalt geholfen und war mit ihrem Vater zur See gefahren. Ihre Netze waren während der letzten Jahre selten voll gewesen, doch zum Leben hatte es immer gereicht, dann war ihr Vater von einer Fahrt nicht zurückgekehrt und ihre Mutter kurz darauf gestorben, und sie hatte selbst nach dem Verkauf des Fischkutters ohne einen Penny auf der Straße gestanden. Als Haushälterin bei wohlhabenden Leuten wie den Whittlers hatte sie sich über Wasser gehalten und eine neue Zukunft aufgebaut, doch schon während dieser Zeit das Bedürfnis gespürt, etwas vollkommen Neues zu beginnen und in eine neue Zukunft aufzubrechen. Ihr Blick war in die Ferne gegangen, zu den schneebedeckten Coast Mountains, und sie hatte die stille Sehnsucht gespürt, auch diese Wildnis kennenzulernen.

Die Umstände, die sie nach Norden und in eine neue Zukunft trieben, hätte sie sich gern erspart. Selbst zwei Jahre, nachdem Frank Whittler versucht hatte, sie zu vergewaltigen, schreckte sie nachts noch manchmal aus einem bösen Traum hoch, in dem sie das Gesicht ihres Peinigers dicht vor sich sah. Als Bones, der geheimnisvolle Wolf, ihn mit gefletschten Zähnen vertrieben hatte, war sie in dem Glauben gewesen, ihn für immer und ewig aus ihrem Leben vertrieben zu haben, und nicht einmal in ihren schrecklichsten Albträumen hätte sie vermutet, dass er so von seiner Rache besessen sein könnte, um sich bei seinem Vater einzuschmeicheln und erneut mit einem Haftbefehl nach ihr zu suchen. Solange er den mächtigen Manager der Canadian Pacific auf seiner Seite hatte, würde die Polizei alles tun, um sie festzunehmen, und mit dem gekauften Zeugen hätte sie auch keine Chance vor Gericht. Man würde sie und wahrscheinlich auch Alex zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilen.

Die Warnung ihrer indianischen Freundin war gerade noch rechtzeitig gekommen, und sie wären inzwischen wahrscheinlich aller Sorgen ledig gewesen, wenn sie das Schicksal nicht erneut herausgefordert hätte. Alex war verschwunden, spurlos verschwunden, und der Stiefel, den sie bei den Klippen gefunden hatte, war nicht gerade ein Zeichen dafür, dass sich alles zum Besseren wenden würde. Auch wenn er am Leben war, wovon sie fest ausging, war die Gefahr groß, dass Frank Whittler zurückkehrte und ihn festnahm. Mit dem Haftbefehl, den der rachsüchtige Millionärssohn vorweisen konnte, würde sich auch der Constable in Port Essington auf seine Seite stellen und alle Hebel in Bewegung setzen müssen, um ihn zu finden. Alex müsste sich einen Unterschlupf suchen und Skaguay nie erreichen.

Sie schenkte sich einen Tee ein und setzte sich auf den Bettrand. Nachdenklich trank sie einen Schluck. Was hatte sie bloß getan, um auf diese Weise bestraft zu werden? War es nicht schon schlimm genug, dass Frank Whittler wieder in ihrer Nähe aufgetaucht war? Hätte das Schiff nicht eher anlegen und sie nach Skaguay mitnehmen können, bevor ihr Verfolger in Port Essington aufgetaucht war? Und warum wurde sie nach ihrer geglückten Flucht erneut auf die Probe gestellt, indem man sie über Alex’ Schicksal auch weiterhin im Ungewissen ließ und ihr so gefährliche Männer wie Soapy Smith und Reverend Ike auf den Leib rückten? Warum geriet sie ständig mit Betrügern und Lügnern aneinander, und warum konnte Skaguay nicht eine gewöhnliche Boomtown wie damals Barkerville beim Fraser-Goldrausch sein? Wie war es möglich, dass ein Verbrecher wie Soapy Smith die ganze Stadt beherrschte?

Ihr war klar, dass diese Gedanken zu nichts führten und sie nur unnötig aufwühlten. Alex würde bestimmt kommen, in ein paar Tagen schon. Ihm durfte einfach nichts passiert sein, und er hatte sicher einen plausiblen Grund für sein seltsames Verschwinden. Er war ein verlässlicher Mann, der seine Frau niemals im Stich lassen würde, auch wenn er manchmal leichtsinnig und immer für eine Überraschung gut war. Er lebte zu lange in der Wildnis und würde niemals der häusliche und brave Gatte sein, den sich manche Frauen wünschten. Doch er war ihr treu, und nichts, aber auch gar nichts, konnte ihn dazu bewegen, sich klammheimlich aus ihrem Leben zu stehlen. Er liebte sie, wie nur ein Mann eine Frau lieben konnte, das hatte er ihr während der letzten zwei Jahre oft genug bewiesen. Es musste irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen sein, das ihn gezwungen hatte, auf diese Weise zu verschwinden.

Sie stellte die Tasse auf den Nachttisch und zog sich aus. In Unterwäsche legte sie sich ins Bett, noch immer aufgewühlt von ihren Gedanken. Es war bereits dunkel, als sie das Licht löschte und ihren Kopf auf das feste Kissen bettete. Der beinahe volle Mond war aufgegangen und schien durchs Fenster herein, er ließ sich auch nicht verdrängen, als sie noch einmal aufstand und die Vorhänge zuzog.

Einen Augenblick hatte sie das Gefühl, einen Wolf neben dem ausgebrannten Wagen stehen zu sehen, aber bei genauerem Hinsehen entpuppte er sich als gewöhnlicher Hund. Ein Husky, der seinem Herrn davongelaufen war und auf Entdeckungsreise ging. »Hier könnte ich dich gut brauchen, Bones!«, richtete sie ihre Worte an den geheimnisvollen Wolf, der ihr schon so manches Mal geholfen hatte, aber es war natürlich vermessen zu glauben, er könnte ihr den weiten Weg bis nach Alaska nachgelaufen sein.

Vom Anblick des vermeintlichen Wolfes verstört, kroch sie unter ihre Decken und schloss die Augen. Dankbarerweise schlief sie sofort ein, doch im Schlaf überraschte sie ein quälender Albtraum, der sie dazu brachte, laut zu stöhnen und Alex’ Namen zu rufen. Sie streckte beide Arme aus, als wollte sie nach etwas greifen, und richtete sich verstört auf.

Als sie die Augen öffnete, sah sie Alex im Zimmer stehen. Nur wenige Schritte vor ihrem Bett verharrte er in der Dunkelheit, in derselben Kleidung, in der sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, nur dass einer seiner Stiefel fehlte und sein großer Zeh aus einem Loch in dem entblößten Socken ragte. Sie war viel zu erschrocken, um zu lachen, blickte Alex ungläubig an und begann plötzlich zu weinen. Sie stand auf und schlich langsam wie eine Schlafwandlerin auf Alex zu, immer noch mit ausgestreckten Armen, und flüsterte: »Alex! Mein Gott, Alex, bist du es wirklich?«

Alex blieb stumm und ließ mit keiner Regung erkennen, was er dachte oder fühlte. Fast unbeweglich stand er in der Mitte des Raumes, das Gesicht im Halbdunkel, sodass man es kaum erkennen konnte, und einen hellen Streifen auf der Brust, wo das Mondlicht ihn berührte. Der Streifen wurde breiter, als er sich bewegte und von ihr abrückte, gerade so schnell, dass sie ihn nicht berühren konnte. Sein Stiefel hinterließ kein Geräusch auf dem Holzboden, der sonst schon bei der leisesten Berührung knarrte und daran erinnerte, in welcher Eile das Haus errichtet worden war.

Clarissa musste hilflos mit ansehen, wie Alex aus dem Fenster stieg und vor ihren Augen verschwand, sich in Luft aufzulösen schien und erst wieder zu sehen war, als sie an das Fenster kam und die Vorhänge zur Seite schob. Beim Wrack des ausgebrannten Planwagens stand er, zusammen mit Bones, der diesmal wirklich ein Wolf war und sich mit ihm verbündet zu haben schien. Zusammen liefen sie aus ihrem Leben, an dem Planwagen vorbei und in die dunkle Nacht, ohne sich nach ihr umzudrehen oder ihr einen Abschiedsgruß zuzurufen. »Alex!«, rief sie in panischer Angst. »Alex! Lass mich nicht im Stich! Alex, wo willst du denn hin?«

Noch während sie sprach, klopfte es laut an ihre Zimmertür, und sie schreckte schweißgebadet aus ihrem Traum. »Alex!«, rief sie verstört. »Bist du das, Alex?«

Die Tür ging auf, und Mrs Buchanan betrat den Raum. Sie hielt eine Öllampe in der Hand, in deren flackerndem Lichtschein eine zweite Gestalt sichtbar wurde. Eine junge Frau, die dunkelblonden Haare offen und zerzaust, die Augen entzündet vom vielen Weinen. Ihr langer Mantel stand offen.

»Dolly!« Clarissa vergaß ihren Traum und rieb sich erstaunt die Augen. »Mein Gott, Dolly! Was ist passiert?« Sie blickte zum mondhellen Fenster. »Es ist doch sicher schon nach Mitternacht! Was tust du um diese Zeit hier?«

»Es ist zwei Uhr früh«, antwortete die Wirtin, »und ich hätte Sie normalerweise nicht geweckt. Aber Dolly hat alle Hotels und Pensionen nach Ihnen abgeklappert und ausdrücklich nach Ihnen verlangt. Und weil Sie doch gestern Nachmittag versucht haben, sie im Hotel zu treffen …«

»Luther ist verschwunden!«, stieß Dolly hervor und begann sofort wieder zu weinen. Sie lief auf Clarissa zu und sank neben ihr aufs Bett, legte ihren Kopf auf ihre Brust und umarmte sie fest. »Er ist nicht zurückgekommen!«

Clarissa spürte die Tränen der Engländerin auf ihrem Körper und blickte hilfesuchend auf Mrs Buchanan. Die zuckte nur mit den Schultern. »Was soll das heißen, er ist verschwunden? Wovon ist er nicht zurückgekommen, Dolly?«

»Vom Ausrüster … dem Laden …« Dolly wurde von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt und drängte sich noch dichter an Clarissa. Sie klammerte sich so fest an sie, als hätte sie nicht vor, sich jemals wieder von ihr zu lösen.

»Beruhige dich erst mal«, sagte Clarissa. Sie strich ihr über das zerzauste Haar und wischte ihr mit dem Handrücken einige Tränen von den Wangen. »Du regst dich bestimmt grundlos auf.« Sie wartete geduldig, bis Dolly sich ausgeweint hatte, und zog ein Taschentuch unter dem Kopfkissen hervor. Dolly richtete sich auf und blickte sie aus verweinten Augen an. Im Schein der Nachttischlampe, die Mrs Buchanan angezündet hatte, sah sie noch trauriger und bemitleidenswerter aus. »Also, was ist passiert?«

Dolly wischte sich die Augen trocken und schnäuzte sich lautstark. »Luther ist verschwunden! Gestern Nachmittag kam der Pastor vorbei, der uns getraut hat, ein wirklich netter Mann. Er sagte uns, dass wir uns wegen der hohen Übernachtungspreise keine Sorgen zu machen bräuchten, selbst in einer Pension wie der hier würden sie ordentlich hinlangen. Luther hatte sich wegen des hohen Hotelpreises beschwert. Aber er, der Pastor, würde dafür einen preiswerten Ausrüster kennen, bei dem wir unseren Verlust wieder ausgleichen könnten. Ein guter Freund von ihm, der uns einen großzügigen Rabatt geben würde … als Hochzeitsgeschenk sozusagen. Bei anderen Kunden wäre er nicht so großzügig. Er, der Pastor, würde Luther abholen, sobald die Sonne untergegangen wäre, und ihn zu seinem Freund begleiten. Er wohnt in einer Hütte außerhalb der Stadt … Seinen Namen hat er uns nicht verraten.«

»Und seitdem hast du nichts mehr von ihm gehört?« Clarissa wechselte einen besorgten Blick mit der Wirtin, sie dachte das Gleiche wie sie. »Dann ist er schon über sechs Stunden weg? Und den Pastor hast du auch nicht gesehen?«

»Keinen … Keinen von beiden.« Ihr schossen erneut die Tränen in die Augen. Sie schnäuzte sich rasch, schluchzte ein paar Mal und sagte: »Wir sind keine Dummköpfe, Clarissa. Luther schon gar nicht. Der hat es faustdick hinter den Ohren.« Zum ersten Mal war der Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht, verschwand aber gleich wieder. »Wir wissen, dass es in Städten wie Skaguay viele Betrüger gibt, die nur darauf warten, ahnungslose Leute übers Ohr zu hauen. Aber ein Pastor … Ich hab schon zu Luther gesagt, dem Pastor kannst du vertrauen. Der hat uns schließlich verheiratet und würde uns niemals reinlegen. Ein Reverend …«

Clarissa hatte sich ebenfalls aufgesetzt, tauschte wieder einen Blick mit der Wirtin und legte einen Arm um Dollys Schultern. »Leider doch, Dolly. Mrs Buchanan kennt den Reverend. Er gehört zur Bande von Soapy Smith, einem Verbrecherkönig, der hier in Skaguay so ziemlich alles und jeden kontrolliert und die Neuankömmlinge reihenweise ausnimmt. Auch der junge Mann, der euch ins Skaguay Hotel geführt hat, steckt mit ihm unter einer Decke. Als ich euch heute Nachmittag vor der Bande warnen wollte, kam mir der Reverend in die Quere und hinderte mich daran, euer Hotel zu betreten. Vor dem Eingang saßen zwei bärtige Burschen mit Gewehren. Ihr seid einem Verbrecher auf den Leim gegangen, Dolly!«

Sie ließ die Worte wirken und fügte rasch hinzu: »Wenn es ganz schlimm kommt, haben sie Luther bewusstlos geschlagen und ihm das Geld abgenommen. Ich glaube aber eher, dass sie ihn betrunken gemacht und ihm einen unverschämt hohen Preis gemacht haben. Soapy Smith ist kein Dummkopf. Er geht immer nur so weit, dass man ihm nichts nachweisen kann.«

»Das stimmt«, sagte die Wirtin leise.

Dolly brauchte eine Weile, um die schlechte Nachricht zu verdauen, doch sie hatte an diesem Abend schon genug geweint und entdeckte ihren angeborenen Kampfgeist wieder. »Wir müssen ihn suchen!«, entschied sie. Sie warf das Taschentuch aufs Bett und stand auf. »Wenn er irgendwo bewusstlos in einer Ecke liegt, müssen wir ihn suchen. Ihm kann sonst was passiert sein!« Ihre Verzweiflung verwandelte sich in wilde Entschlossenheit. »Außerdem lasse ich nicht zu, dass man Luther und mich so schäbig behandelt! Wenn dieser Pastor uns betrogen hat, soll er uns das Geld zurückgeben!«

Bevor Clarissa und Mrs Buchanan sie zurückhalten konnten, war sie aus dem Zimmer und unterwegs zur Tür. Clarissa zog sich in Windeseile an und folgte ihr. Mrs Buchanan blieb sprachlos zurück und schüttelte den Kopf.